hr-iNFO Büchercheck: Das gibts in keinem Russenfilm von Thomas Brussig

hr-iNFO Büchercheck: Das gibts in keinem Russenfilm von Thomas Brussig

01.10.2015

Übermorgen feiern wir 25 Jahre Deutsche Einheit. Aber was wäre gewesen, wenn die DDR weiter existiert hätte? Antworten darauf hat sich der Schriftsteller Thomas Brussig ausgedacht.
hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Für etwas völlig unglaubliches gab es im Osten die Redewendung „Das gibts in keinem Russenfilm“. Für Thomas Brussig ist diese Wendung Titel und Programm für einen kontrafaktischen Roman. Die DDR existiert weiter. Honecker stirbt irgendwann, Krenz folgt ihm, später Gysi. Sarah Wagenknecht wird Nachrichtensprecherin im Fernsehen, Wolfgang Thierse Verleger und Oskar Lafontaine Bundeskanzler. Mittendrin aber der Autor Thomas Brussig, ein selbstverliebter Typ, der zufällig zum Dissidenten-Star wird, von der Westpresse hofiert, von der Stasi bespitzelt, aber von Krenz geduldet. Brussig haut auf knapp 400 Seiten einen satirischen Knaller nach dem anderen raus. Zum Beispiel, wenn er die Literatenszene vom Prenzlauer Berg beschreibt:

„Das große Wohnzimmer war so verqualmt, dass ich kaum bis zur gegenüberliegenden Wand sehen konnte. Auf einem abgewetzten Sofa saß ein Dichter, der einen etwa gullideckelschweren Prachtband liebevoll durchblätterte. Neben ihm und auf der Sofalehne saßen zwei Frauen, die bewundernd seinen Erläuterungen folgten. Ich schlug mich zu ihm durch und schaute ihm über die Schulter. Er zeigte auf Graphiken von Tieren, einem Igel, einer Gans, einem Tukan, und streichelte ein kryptisches Gedicht. Jedes Wort berührte er, als wäre es in Blindenschrift geschrieben. Bald wurde ich von einem Dichter weggeschoben, der sich auch für den Gullideckel interessierte und der im Loben besser war als ich, was nicht schwierig war. Seine Kennung war, dass er Umlaute vermied, als leide er an einer Umlaut-Phobie.“

Wie ist es geschrieben?
Thomas Brussig erzählt locker und leicht, einfallsreich und chronologisch an den erfundenen Ereignissen entlang und konsequent in der Ich-Perspektive. Ironie und Sarkasmus sind die Stilmittel der guten Passagen, manchmal reicht ihm aber auch ein platterer Witz. Das macht das Buch sehr leicht lesbar, manchmal aber auch geschwätzig.

Wie gefällt es?
Es macht einfach Spaß, wie Brussig sich über die Historie hinwegsetzt. Das ist frech und erfrischend, in vielen Fällen vermutlich angemessen. Aber die Realität in der DDR war nun mal nicht so lustig. Das könnte man beim Lesen fast vergessen. Also, ein witziges Unterhaltungsbuch, von dem man aber keine neuen Erkenntnisse erwarten sollte.

hr-iNFO

 

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gebundenes Buch, 384 S.
Sprache: Deutsch
Fischer, S. Verlag GmbH
ISBN: 9783100022981

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